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Benjamin Raschke spricht zu unserem Antrag „Spielräume auf Landesebene für den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower) nutzen“

Zum Antrag „Spielräume auf Landesebene für den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower) nutzen“ (pdf-Datei)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, sich für einen kurzen - vielleicht schönen, vielleicht schmerzhaften - Moment vorzustellen, Sie säßen nicht als Abgeordnete hier im Landtag, sondern wären angestellt oder verbeamtet beim Land Brandenburg, bei einer Kommune oder einem öffentlichen Unternehmen. Und da stimmt alles: Sie haben ein schönes Büro mit schönen Grünpflanzen, die Tätigkeit ist anspruchsvoll, ordentlich bezahlt, die Kantine hat gutes Essen und die Kolleginnen und Kollegen sind sehr nett - kurz: Sie gehen jeden Morgen gern zur Arbeit.

Aber eines Tages stellen Sie gewisse Unregelmäßigkeiten fest. Sie können es gar nicht glauben und überprüfen es nochmal und nochmal, aber die Unregelmäßigkeiten bleiben. Zum Beispiel arbeiten Sie in einer Gemeindeverwaltung und stellen fest: Der Kitaträger erschleicht viel zu hohe Zuschüsse von der Gemeinde - so geschehen in Königs Wusterhausen in Brandenburg. Oder Sie arbeiten bei einem landesweiten Klinikkonzern und haben den begründeten Verdacht, dass die alten Menschen dort nicht ordentlich gepflegt werden, aus Profitstreben wird an der Pflege eingespart - so geschehen im Nachbarland Berlin. Dieser Whistleblower-Fall hat extrem große Wellen geschlagen und hat es bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschafft.

Oder - das ist ein fiktiver Fall - Sie arbeiten in der Abfallbehörde und haben den begründeten Verdacht, dass es viel mehr als die 108 - legalen - Mülldeponien in Brandenburg gibt und da auch gar nicht so genau hingeschaut wird. Oder Sie arbeiten im Innenministerium und haben das Gefühl: Irgendetwas mit den Dienstwagen ist doch nicht in Ordnung. Oder - leider ein völlig fiktiver Fall - Sie arbeiten an einem Großflughafen und haben den begründeten Verdacht, dass der vorgeschlagene Eröffnungstermin nicht zu halten ist und das Land sich total blamieren wird.

Kurzum: Sie sind in einer schwierigen Situation und müssen eine sehr schwere Entscheidung fällen. Bringen Sie diesen Missstand jetzt öffentlich zur Sprache? Sie gehen damit ein großes Risiko ein. Für die Gesellschaft wäre es gut, wenn der Missstand abgestellt würde, aber Sie allein müssen mit den Konsequenzen leben. Schließlich können Sie verklagt werden. Sie haben als normaler Arbeitnehmer eine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber, Sie müssen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse schützen. Als Beamter haben Sie sogar noch eine Verschwiegenheitsund eine Treuepflicht. Wenn Sie solche Missstände öffentlich machen, kann das schnell ein Dienstvergehen sein. Aber nicht nur rechtliche Konsequenzen drohen, sondern vor allem gesellschaftliche. Viele der Whistleblower, die Dinge an die Öffentlichkeit bringen, verlieren ihren Job, die Karriere ist zu Ende. Wo es um viel Profit geht, wird mit harten Bandagen gekämpft. Dann ist nicht nur die Karriere beendet, sondern man ist oft der Nestbeschmutzer oder die Verräterin. Das müssen Sie also in solcher Situation abwägen und sozusagen Karriere gegen gutes Gewissen stellen.

Angenommen, Sie sind jetzt in dieser Situation und schauen: Was macht die Politik? Können wir uns nicht Hilfe holen? - Sie zusammen mit der grünen Justizministerin aus Niedersachsen eine gute Initiative auf Bundesebene gestartet, nämlich dass Whistleblower mehr Rechte bekommen sollen. Das ist ein gutes Signal für einen Justizminister, der im angesprochenen Fall von Königs Wusterhausen involviert ist, nach vorne zu gehen und sich nicht bremsen zu lassen. Es ist auch ein gutes Signal, dass Herr Ludwig sagt: Ich bin Justizminister, ich möchte hier etwas gestalten.

Aber das reicht natürlich nicht. Man muss nicht darauf warten, dass auf Bundesebene etwas geschieht. Wir können hier im Land etwas tun. Was schlagen wir als Grüne Ihnen vor? Wir sagen: Ja, man sollte als Hinweisgeberin oder Hinweisgeber, als Whistleblower das Recht bekommen, Dinge öffentlich anzusprechen. Was müsste man dafür tun? Wir sagen: Sie sollten, wenn Sie in einer solch schweren Entscheidung stecken, in drei Stufen vorgehen. Erstens: Sie reden erst einmal mit Ihrer Arbeitgeberin oder Arbeitgeber, Ihrer oder Ihrem direkten Vorgesetzten. Vielleicht ist das Problem dann schon aus der Welt zu schaffen.

Wenn Sie so nicht weiterkommen, wenn - wie zum Beispiel bei dem Fall in Königs Wusterhausen - der Vorgesetzte bremst und Sie nicht gewähren lässt oder es unzumutbar ist, sich damit an den direkten Vorgesetzten zu wenden, weil zum Beispiel akut Leib und Leben von Menschen in Gefahr sind, dann sollten Sie sich an eine außerbetriebliche Stelle wenden - das ist die zweite Stufe. Gehen Sie zur Polizei oder wenden Sie sich an die Landesdatenschutzbeauftragte.

Wenn auch das nichts bringt - wenn das unzumutbar ist oder Sie nicht weiterbringt -, dann sollen Sie das Recht haben, an die Öffentlichkeit zu gehen, ohne dass Sie hinterher mit den Konsequenzen nicht leben können. Dann sollen Sie das publik machen können, ohne dass es strafrechtlich belangt oder - wenn Sie verbeamtet sind - als Dienstvergehen behandelt wird. Mit diesem einfachen Vorschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir auch einen Vorschlag für gesellschaftliche Spielregeln. Denn damit wollen wir nicht nur die Whistleblower - die Leute, von denen die Hinweise kommen - schützen, sondern wir wollen uns allen einen Orientierungsrahmen geben: Ist da jetzt jemand, der ein ernsthaftes Anliegen hat, oder nur jemand, der etwas Ruhm in der „Bild“-Zeitung genießen möchte?

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir können froh sein, dass es immer wieder sehr couragierte Menschen gibt, die sich trauen, Missstände an die Öffentlichkeit zu bringen. Das ist bisher sehr schwer. Selbst nach Edward Snowden und der Wikileaks-Geschichte ist es öffentlich sehr hart, wenn man das durchstehen muss. Deswegen lassen Sie uns diese Menschen schützen und unterstützen! Und machen wir das heute und warten nicht darauf, dass diese sehr gute links-grüne Initiative auf Bundesebene irgendwann Früchte trägt, sondern helfen wir dem neuen Justizminister, jetzt schon zu beweisen, dass wir auch in Brandenburg diese Rechte stärken können. - Vielen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE)

Zum Antrag „Spielräume auf Landesebene für den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower) nutzen“ (pdf-Datei)

Unser Antrag wurde abgelehnt.

Das Wort erhält noch einmal die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte, Herr Abgeordneter Raschke.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Debatte. Herr Eichelbaum, herzlichen Dank für die breite Darlegung der Rechtslage. Dem meisten habe ich nichts hinzuzufügen. Ich möchte nur noch einmal deutlich machen: In unserem Antrag ging es nicht hauptsächlich um Unternehmen, sondern um öffentliche Verwaltungen. Ich glaube, bei den genannten Beispielen - BER, Dienstwagen usw. - können wir darin übereinstimmen, dass hier einiges zu tun wäre.

Ich glaube, Ihr Beitrag hat aber auch gezeigt, warum es so notwendig ist, dass wir in Brandenburg etwas tun. Das richtet sich jetzt an Herrn Stohn, Frau Mächtig und Herrn Schröter: Wenn wir mit voller Kraft versuchen, dies auf Bundesebene durchzusetzen, und die CDU da steht, wo sie jetzt steht - die CDU hatte bei der letzten Sonntagsumfrage 30,5 %, die SPD 19,5 % -, dann können wir nicht warten, bis der Bund irgendetwas macht, sondern müssen wir auf Brandenburger Ebene vorangehen.

Ich glaube, insgesamt war es eine gute Debatte. Sie soll ja auch ein Beitrag dazu sein, das gesellschaftliche Klima zu verbessern: Es geht nicht um Denunziantentum, sondern um den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern. Die einzige Ausnahme war - aber das ist wenig überraschend - die AfD. Herr Jung macht sich deutlich Sorgen um das Denunziantentum. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wundert mich überhaupt nicht. Wir wissen, was dabei herauskommt, wenn es bei der AfD Denunziantentum gibt. Ich sage nur: Bild-Zeitungsinterview, Herr Wiese. - Vielen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD und DIE LINKE)