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Axel Vogel spricht zu unserem Gesetzentwurf „Gesetz zur Bereinigung der Rechtsverhältnisse an Bodenreformgrundstücken im Land Brandenburg im Anwendungsbereich der Bodenreformabwicklung gemäß Art. 233 §§ 11-16 EGBGB (Bodenreformwiedergutmachungsgesetz)

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Gäste, insbesondere liebe Neusiedlererbinnen und -erben! „Junkerland in Bauernhand“ - das wird dem einen oder anderen von Ihnen noch aus der Frühzeit der DDR, aus der sowjetischen Besatzungszone, bekannt sein. Weitgehend unbekannt dagegen dürfte Ihnen sein, dass vor 71 Jahren - heute fast auf den Tag genau, am 5. Juni 1945 - Walter Ulbricht in Moskau von Stalin persönlich die Direktive erhielt, unverzüglich eine Bodenreform durchzuführen. Daraufhin nahm das ZK der KPD am 11. Juni 1945 die Forderung nach einer Bodenreform in ihr erstes Aktionsprogramm auf. Bis zum offiziellen Ende der Bodenreform, per Dekret der sowjetischen Militäradministration übrigens, am 1. Juni 1948 wurden daraufhin Grundbesitzer - jedenfalls alle mit einem Grundbesitz von über 100 ha - entschädigungslos enteignet.

Bis heute hat sich das Interesse an der Bodenreform weitestgehend auf die damals als preußische Junker und Kriegsverbrecher stigmatisierten Zwangsenteigneten, die Brüche in ihren Biografien sowie die Entschädigungs- und Ausgleichsmaßnahmen nach 1990 konzentriert. Dieser Teil der Bodenreform ist Geschichte. Bei aller Bitterkeit für die damals Betroffenen: Wir Grünen werden nicht versuchen, diese Enteignungen rückgängig zu machen.

Aber die Bodenreform hatte eben noch einen zweiten Teil: den Übergang der Flächen in Bauernhand. Das von der Provinz Brandenburg angeeignete Land verblieb in Teilen in Staatsbesitz und diente später als Grundlage für die Bildung Volkseigener Güter, ein anderer Teil aber wurde aufgeteilt und in Parzellen von 5 bis 12 ha an rund 50 000 landlose Bauern, Landarbeiter und Heimatvertriebene, die sogenannten Neubauern oder Neusiedler, die dafür Geldzahlungen- oder Naturalienlieferungen leisten mussten, verkauft.

Damit hätte eigentlich auch diese Seite der Bodenreform ihr Ende haben können, wenn es nicht in den Folgejahren von unerwarteter Seite zwei Versuche gegeben hätte, den Neubauern das Land wieder zu entwenden. Das war zum einen die DDR, die im Rahmen der Zwangskollektivierung versuchte, diese Flächen wieder einzusammeln und in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften einzubeziehen. Wäre die DDR 1990 nicht untergegangen, würde sich niemand mehr an das Privateigentum an diesen Flächen erinnern. Es kam aber bekanntlich zur Friedlichen Revolution und zum Einigungsvertrag. Zuvor versuchte die Modrow-Regierung sicherzustellen, dass die Bodenreformflächen als Volleigentum in Privateigentum überführt werden.

Damit wäre der Eigentumstransformationsprozesseigentlich abgeschlossen gewesen, wenn nicht erstaunlicherweise die Bundesregierung und die ostdeutschen Bundesländer versucht hätten, dennoch an diese Flächen zu kommen. Mit dem sogenannten Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz erfolgte nämlich 1992 eine jähe Kehrtwende. In der Enquetekommission zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur, die sich in der letzten Legislaturperiode ausführlich mit der Problematik befasste, herrschte unter den Fachjuristen Einigkeit: Das Gesetz verkannte nicht nur die DDR-Rechtslage, sondern stellte im Ergebnis ein gigantisches Enteignungsgesetz dar.

(Einzelbeifall)

Es fußte auf der Annahme, dass Bodenreformeigentum in der DDR nicht vererbbar gewesen sei. Ein BGH-Urteil, das 1998 - sechs Jahre später - diese Ansicht korrigierte, wurde von den Verwaltungsgerichten schlichtweg ignoriert. Die Vorschriften dieses Gesetzes gaben den einzelnen Ländern und damit auch dem Land Brandenburg einen Anspruch, unter bestimmten willkürlich gesetzten Voraussetzungen die Übereignung von Bodenreformeigentum von den Neusiedlererben zu verlangen.

Das Land Brandenburg - das ist beschämend - hat diese 1992 eröffneten Möglichkeiten zur Einziehung von Bodenreformeigentum in besonders intensiver Weise genutzt. Nach Angaben der Bundesregierung von 2004 handelt es sich in Brandenburg um ca. 34 000 ha, weit mehr als in allen andeden ostdeutschen Ländern. Zwei Fünftel aller Fälle wurden in Brandenburg durchgesetzt. Das Land Brandenburg hat die Kann-Bestimmung - es musste nicht enteignet werden - zur Bodenreformabwicklung mithin härter und konsequenter gegen die Besitzer
von Bodenreformflächen zur Anwendung gebracht als jedes andere ostdeutsche Bundesland.

Der Bundesgerichtshof bescheinigte dem Land für seinen Übereifer bei einem Teil der Flächen im Jahr 2007 sittenwidriges Verhalten bei der Einziehung von Bodenreformeigentum. Das war die sogenannte Bodenreformaffäre. In Brandenburg entstanden damit in der Folge hausgemachte Ungerechtigkeiten. So darf beispielsweise aufgrund dieses BGH-Urteils derjenige, der sich heute als bisher unbekannter Erbe meldet, Bodenreformflächen behalten. Derjenige, der bis zum Stichtag 3. Oktober 2000 Flächen gemeldet hatte oder ausfindig gemacht wurde, durfte die Flächen nur behalten, wenn er nachweisen konnte, dass er zehn Jahre als Mitglied einer LPG in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft gearbeitet hat.

Insgesamt geht es hier um mehrere Tausend Menschen, denen auf Grundlage dieses Gesetzes die Flächen entzogen wurden. Inzwischen hat sich übrigens sogar noch eine dritte Gruppe gefunden: Diese besteht aus Mitgliedern von Erbengemeinschaften, bei denen das Land vor dem 03.10.2000 nur eine unzureichende individuelle Anspruchsprüfung vorgenommen hatte und die nun ebenfalls einen Rückgabeanspruch haben. Ein riesiges Kuddelmuddel also, das kein gutmeinender Mensch als gerecht empfinden kann.

Als besonders problematisch erweist sich jedoch zuallererst die Tatsache, dass die Abwicklung der Bodenreform den Rechtsfrieden im ländlichen Raum und vor allem das Vertrauen in den Rechtsstaat bei vielen Menschen bis zum heutigen Tag empfindlich gestört hat. Viele Eigentümer hatten diese Flächen nämlich im Vertrauen darauf, dass sie ihnen gehören, verkauft - und mussten das Geld abliefern - oder planten mit diesem Land eine Zukunft, die sie nie hatten.

Mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz und abhängig von der Umsetzungspraxis in den Ländern standen dann also allzu viele vor dem Nichts. Mehr noch: Im Vertrauen auf ihre Eigentümerposition wurde häufig der Rechtsweg beschritten; am Ergebnis änderte dies in der Regel nichts - bis auf die zusätzliche finanzielle Last durch entsprechende Verfahrenskosten.

Wie im aktuellen Fall des umgangssprachlich sogenannten Altanschließerurteils, mit dem vor dem 31.12.1999 ergangene und beklagte Beitragsbescheide der Abwasserzweckverbände für ungültig erklärt wurden, drohen auch hier die auf den Rechtsstaat vertrauenden Bürger den Kürzeren zu ziehen. Während die Gutachter der Landesregierung im Fall der Altanschließer die Wahrung des Rechtsfriedens als Gemeinwohlbelang einstufen und die Rückzahlung aller Beiträge empfehlen, konnte sich die Landesregierung bei den Neusiedlererben nicht zum Durchschlagen des Gordischen Knotens durchringen.

Wenn wir unseren Gesetzentwurf aus der letzten Legislaturperiode heute modifiziert erneut einbringen, so hat das mehrere Gründe:

Erstens: Die Enquetekommission zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit hat in ihrer Handlungsempfehlung V.2. die Rückgabe aller vom Land angeeigneten Neusiedlerflächen an die Erben empfohlen.

Zweitens: SPD und Linke haben in ihrer Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode festgelegt, dass sie sinnvolle und finanzierbare Empfehlungen der Enquetekommission umsetzen wollen.

Drittens: Anfang des Jahres wurde ein gemeinsamer Antrag der Koalition, der CDU und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Umgang mit den Empfehlungen der Enquetekommission verabschiedet. Das Thema des weiteren Umgangs mit dem Bodenreformland wurde ausdrücklich ausgeklammert und eine spätere Beratung im Parlament vereinbart.

Viertens: Durch den im Jahr 2013 in Kraft getretenen Staatsvertrag stehen die Bodenreformflächen in uneingeschränkter Verfügungsgewalt des Landes Brandenburg. Der Vertrag sieht weder eine Rückgabe- noch eine Verwertungspflicht des Landes für diese Flächen vor. Nachdem die anderen Bundesländer laut Mitteilung des Finanzministeriums ein gemeinsames Vorgehen abgelehnt haben, steht es allein im Belieben des Landes Brandenburg, wie mit diesen Flächen verfahren wird.

Fünftens: Nach der Berichterstattung des Finanzministers vom Mai 2015 sind die meisten Bodenreformflächen unverändert in Landesbesitz. Eine Veräußerung fand und findet nur in unbedeutendem Maße statt.

Sechstens: Ein Verkauf dieser Flächen darf nach Artikel 40 Abs. 1 der Brandenburger Verfassung nur nach Maßgabe eines Gesetzes erfolgen. Dazu zählt nach bisheriger Praxis auch die unentgeltliche Übereignung von Grundstücken. Das wird üblicherweise ins Haushaltsgesetz aufgenommen.

Wir haben das zum Anlass genommen, gemeinsam mit den Freien Wählern einen modifizierten Gesetzentwurf erneut in den Landtag einzubringen, mit dem die Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen sogenannter Neusiedlererben beendet werden soll. Um Rechtsfrieden herzustellen, sollen alle Neusiedler bzw. ihre Erben im Gegensatz zur bisherigen Praxis - unabhängig davon, ob sie zu einem rechtlich vorgegebenen Stichtag in der Landwirtschaft gearbeitet haben oder nicht, ob sie Mitglied der LPG waren oder nicht - ihre früheren Bodenreformflächen zurückerhalten. Darüber hinausgehende Entschädigungszahlungen soll es nicht geben, sodass die Kosten für das Land überschaubar bleiben. Durch die Rückgabe der Flächen muss zudem die Brandenburgische Bodengesellschaft nicht länger als Geschäftsbesorger mit deren Verwaltung beauftragt werden; die dadurch derzeit anfallenden Kosten entfallen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rechtsfrieden, Vertrauen in den Rechtsstaat - das sind hohe Güter. Das gilt nicht nur bei den Anschlussbeiträgen, sondern auch beim Bodenreformland. Ich bitte daher die Vertreter von Rot-Rot, der Überweisung des Gesetzentwurfs zur weiteren Beratung in die Ausschüsse zuzustimmen. Bei den anderen Fraktionen habe ich Zuversicht, dass sie zustimmen werden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

(Beifall B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

>> Gesetzentwurf als pdf-Datei

Der Gesetzentwurf wurde abgeleht.