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Axel Vogel spricht zum Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2015/2016 (Nachtragshaushaltsgesetz 2016 - NTHG 2016)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Ja, die Welt ist aus den Fugen. Jeder von uns kennt die Bilder von den zerstörten Städten in Syrien, im Irak, neuerdings in Türkisch-Kurdistan oder auch Bilder aus Afghanistan; jeder von uns kennt aus dem Fernsehen Bilder von den Massenhinrichtungen des IS, von den Hungernden im syrischen Madaja oder dem Zug der Elenden quer durch die Balkanstaaten nach Mitteleuropa. Solche Kriegsbilder sind nicht neu. Neu aber ist, dass wir das Elend der Welt nicht mehr ausblenden können, indem wir den Fernseher ausschalten. Die Flüchtlinge sind mitten unter uns, und sie sind nicht nur Gäste, sondern Menschen mit völkerrechtlich normierten Rechten und Pflichten.

Viele von ihnen wollen und werden dauerhaft hier bleiben und damit sich selbst und unsere Gesellschaft verändern. Das macht vielen Menschen in Deutschland und Europa Angst. Darüber kann und darüber muss man auch reden. Aber es kommt auf die Tonlage an. Die deutsche Politik gerät auf Abwege, wenn Vizekanzler Gabriel angesichts der Übergriffe in Köln in den Jargon der AfD verfällt - wir haben gerade vernommen, wie es klingt - und obendrauf eine völkerrechtswidrige Residenzpflicht für anerkannte Flüchtlinge fordert.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU - Königer [AfD]: Wo er Recht hat, hat er Recht!)

Mit den CSU-Granden bis hin zu dem Flüchtlingskind Stoiber, der sich mit Ultimaten an die Bundeskanzlerin zur Flüchtlingsbegrenzung versucht und die Schließung der deutschen Grenzen fordert, möchte ich mich gar nicht weiter auseinandersetzen. Die Tonlage in diesem Land jedenfalls wird zunehmend unerträglich.

(Beifall der Abgeordneten Frau Kaiser und Frau Mächtig [DIE LINKE])

Die Sitten verrohen. Die politische Mitte droht verloren zu gehen. Obendrein nehmen die Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsextremen auf den Straßen unseres Landes und auch hier in Potsdam zu.

(Königer [AfD]: Wer hat denn da mit Steinen geworfen?)

Der europaweit zu beobachtende Weg weg von einer weltoffenen Gesellschaft, weg von der Willkommenskultur hin zu einer Abschreckungskultur ist aber ein schrecklicher Irrweg. Ja, Willkommenskultur und Integration kosten zunächst Geld, aber sie sind Investitionen in die Zukunft, die sich nicht nur menschlich und ideell, sondern auch wirtschaftlich - da verweise ich auf die Studien des DIW Berlin - auszahlen werden, und zwar völlig unabhängig davon, ob die Flüchtlinge hierbleiben, sich hier dauerhaft niederlassen oder später zurückkehren und ihre Heimat wiederaufbauen.

Abschottung und Abschreckung werden dagegen auf Dauer nicht nur Menschenleben kosten, sondern auch Zukunftschancen vernichten. Erfahrungen damit hat man ja hinter der Mauer in Ostdeutschland zuhauf sammeln können.

(Beifall B90/GRÜNE - Zuruf von der AfD: Besonders DIE LINKE!)

Europa, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine der reichsten Regionen der Welt. Deutschland ist eines der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Die Haushalte des Bundes und von immer mehr Bundesländern verzeichnen Überschüsse. Da ist es schon ausgesprochen schräg, wenn der bundesdeutsche Finanzminister Schäuble, der gerade einen Haushaltsüberschuss von 12 Milliarden Euro verzeichnet, die Einführung einer europaweiten Benzinzusatzsteuer vorschlägt.

(Beifall B90/GRÜNE)

Es hat auch Schlagseite, wenn der Thüringer Ministerpräsident Ramelow den Soli zum Integrationssoli umdeklarieren will oder die gerade bei der AfD hoch im Kurs stehende Sahra Wagenknecht eine Vermögensteuer zur Flüchtlingsfinanzierung fordert.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Wir Grüne verschließen uns nicht der Diskussion über die sinnvolle und ökologisch gebotene Anhebung der Steuer auf Dieselkraftstoffe auf das Niveau von Benzintreibstoffen. Wir halten es für sinnvoll, den Soli fortzuführen und die durch das Auslaufen des Solidarpaktes freiwerdenden Mittel für die Finanzierung des Länderfinanzausgleichs heranzuziehen. Auch in Deutschland hat die Ungleichheit in der Vermögensverteilung zugenommen, stellt die Erbschaftssteuer kein Korrektiv dar. Deswegen halten wir Grüne eine Vermögenssteuer aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit für richtig und erforderlich. Wir wehren uns aber entschieden dagegen, wenn neuerdings die Flüchtlinge für die Durchsetzung schon länger erhobener finanz-, steuerrechtlicher, haushaltspolitischer Forderungen instrumentalisiert werden sollen.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)

Deswegen halte ich es für ausgesprochen lobenswert - Herr Bischoff -, dass die Brandenburger Landesregierung mit der Vorlage dieses Nachtragshaushaltes, der die Finanzierung von Erstaufnahme und Integration von Schutzsuchenden in den Mittelpunkt stellt, dies nicht macht. Wir begrüßen es außerordentlich, dass auch beim Nachtragshaushalt nicht auf den Bund gewartet wird, sondern unserer Forderung gefolgt wurde, die Mehrausgaben ohne Neuverschuldung aus der inzwischen trotz der Millionen für den BER auf 945 Millionen Euro angewachsenen Rücklage - das muss man sich vorstellen! - zu finanzieren.

(Beifall B90/GRÜNE - Minister Görke: Darauf habe ich gewartet!)

Ja, wir schaffen das und wir schaffen das gut. Das ist auch das richtige Signal, das von diesem Nachtragshaushalt ausgeht. Natürlich ist es richtig und zulässig, Herr Finanzminister, zu beklagen, dass sich der Bund bislang nur mit 230 Millionen Euro - jedenfalls nach Ihren Unterlagen - an der Flüchtlingsunterbringung
und Integration beteiligt und damit nur ein gutes Drittel trägt. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt darauf verzichten, das Notwendige zu veranlassen, bis der Bund die zusätzlichen Mittel zur Verfügung stellt.

Es ist mehrfach angesprochen worden, dass in der Frage der Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung und Integration von CDU bis Grünen, Rot-Rot in der Mitte, immer Einigkeit bestanden hat und alle Mittel im Haushaltsausschuss ausnahmslos zur Verfügung gestellt wurden. Ich denke, dass wir alle das weiterhin gemeinsam so halten.

(Beifall B90/GRÜNE und des Abgeordneten Christoffers [DIE LINKE])

Flüchtlinge und Integration lautet die Devise des Nachtragshaushaltes. Das heißt aber auch, dass es mit der Finanzierung der Erstaufnahme nicht getan ist. Willkommen heißen und damit verbundene Integrationsangebote müssen in erster Linie auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Deswegen muss auch gelten, dass Kommunen durch die Aufnahme von Flüchtlingen nicht finanziell belastet werden. Aber genau das passiert, wenn die Kommunen im Vertrauen auf die vom Land angekündigten Flüchtlingszahlen - unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - sich mit Unterbringungs- und Betreuungskapazitäten bevorraten, das Land aber nur nach tatsächlich ankommenden Personen abrechnet.

Gelingende Integration setzt Spracherwerb voraus. Die Länder haben den Bund mit ihrer Zustimmung zum Asylkompromiss aus seiner Verantwortung entlassen. Deutschunterricht für alle Flüchtlinge wird nicht mehr angeboten. Stattdessen wurden zwei Gruppen gebildet. Diejenigen, die eine Anerkennungsquote von über 50 % haben, wie Syrer und Eritreer, erhalten bereits im Asylverfahren Deutschunterricht, Afghanen, deren Anerkennungsquote nur bei ungefähr 40 % liegt, jedoch nicht. Monatelanges Herumsitzen bis zur Entscheidung über eine Anerkennung, völlige Ungewissheit über das Kommende und ohne jegliche sinnvolle Beschäftigung - überlegen Sie nur einmal, was das aus Ihnen als junger Mensch gemacht hätte!

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)

Meiner Ansicht nach ist das Land gefordert. Auch dem Letzten sollte klar sein, dass 300 000 Euro nicht ausreichen werden. Setzen Sie das bitte zu den zusätzlichen 1 Million Euro ins Verhältnis, die jetzt für Abschiebungen noch obendrauf gelegt werden.

Auch mit dem Spracherwerb ist es nicht getan. Traumatisierte Flüchtlinge brauchen psychosoziale Betreuung. Die kann nicht, wie es in Fürstenwalde geschieht, über Lottomittel finanziert werden. Wir brauchen dezentrale Integrationszentren in allen Landkreisen, die mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden.

(Beifall B90/GRÜNE)

Gefunden haben wir dazu im Nachtragshaushalt nichts. Das Landesaufnahmegesetz muss ausfinanziert werden. Das muss sich auch im Haushalt wiederfinden. Es gibt meines Erachtens noch eine Menge Themen zur Flüchtlingspolitik, die wir in den Haushaltsberatungen werden aufwerfen müssen, zum Beispiel die Einbeziehung der Freien Schulen in die Beschulung von Flüchtlingskindern und die Ausstattung der Jobcenter. Eines aber ist uns allen klar, nämlich dass das Ausbringen von Stellen noch gar nichts heißt, wenn wir nicht das nötige Personal finden. Das ist eine Aufgabe, die in der Folge auf uns zukommen wird.

Es ist angesprochen worden: Der Nachtragshaushalt steht unter Zeitdruck. Aber es gibt eben noch einige andere Themen neben dem BER, der Flüchtlingsunterbringung und der Anpassung der Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher, die wir nicht auf die lange Bank schieben können: Nach dem erfolgreichen Volksbegehren gegen Massentierhaltung muss sich Rot-Rot entscheiden, ob 2,5 Millionen Euro für einen Volksentscheid - dessen Kosten einer Landtagswahl entsprechen - im Haushalt veranschlagt oder lieber gleich die zusätzlichen Stellen für einen hauptamtlichen Tierschutzbeauftragten im Haushalt ausgewiesen werden sollen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt AfD)

Den Volksentscheid scheuen weder wir noch die Initiatoren. Wir sehen ihn als einen Beitrag zur lebendigen Demokratie, zur Verbesserung der demokratischen Willensbildung in Brandenburg und fänden es prima, wenn in jedem Haushalt, wenn die Wahlbenachrichtigung eintrifft, über die Tierhaltung in Brandenburg diskutiert werden muss. Rot-Rot muss sich auch entscheiden, ob man die Kommunen und die Abwasserzweckverbände nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beitragsrückerstattung an die Altanschließer mit einem lapidaren Briefchen abspeisen und im Regen stehen lassen oder Liquiditätshilfen und Zwischenfinanzierungen bereitstellen will. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie angesichts der personell ausblutenden Finanzverwaltung - danke, Herr Bretz, für die Ausführungen dazu - bereits in diesem Haushaltsjahr zusätzliche Anwärter einstellen oder alles auf 2017 verschieben. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Einstufung von Beamten in allen Besoldungsgruppen und nicht nur der Richter ausreichend Vorsorge im Haushalt treffen oder Vabanque spielen und alles auf die lange Bank schieben. Sie müssen entscheiden, wir müssen entscheiden. Aber genau das wird von uns erwartet, und dafür werden wir bezahlt. Es verträgt sich nur wenig damit, dass der Nachtragshaushalt aus Zeitgründen nur an den Finanzausschuss überwiesen wird und die Fachausschüsse von den Parlamentarischen Geschäftsführern aufgefordert werden, sich im Rahmen ihres Selbstbefassungsrechtes den Haushalt auf den Tisch zu ziehen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Signale aus dem vom Volksbegehren besonders betroffenen Landwirtschaftsbereich, sich mangels anberaumter Sitzungstermine überhaupt nicht mit dem Nachtragshaushalt zu beschäftigen, sollten die Ausschussmitglieder beschämen. Wir jedenfalls werden unsere Änderungsanträge einbringen und erwarten eine sach- und fachgerechte Beratung. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall B90/GRÜNE)