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Ursula Nonnemacher spricht zum Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg (Antirassismus-Novelle)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste!

„Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Delikt.“

Dieses Zitat stammt von der französischen Justizministerin Christiane Taubira. Die dunkelhäutige Politikerin stammt aus Französisch-Guayana und wurde 2012 von Präsident Hollande zur Justizministerin berufen. Nicht nur wegen ihrer Politik, sondern auch wegen ihrer Herkunft sieht sie sich seit einiger Zeit schweren Anwürfen ausgesetzt. Aus den Reihen des rechtsextremen Front National wurde die Ministerin kürzlich als Affe beschimpft, den man lieber auf einem Baum als in der Regierung sehe. Nach Angaben der französischen Kommission für Menschenrechte haben sich rassistisch motivierte Übergriffe in den letzten 20 Jahren verfünffacht.

Rechtspopulistische bis manchmal rechtsextreme Parteien haben momentan in Europa Konjunktur: der Front National in Frankreich, die FPÖ in Österreich, die Lega Nord in Italien, die „Wahren Finnen“ bis hin zur extremen „Goldenen Morgenröte“ in Griechenland. Die entsprechenden Parteien und Bewegungen eint meist ein nationalistisches, Euroskeptisches bis europafeindliches Weltbild. Sie sind gegen Zuwanderung, antiislamistisch und häufig mehr oder weniger offen rassistisch.

Der EU-Ratspräsident van Rompuy hat kürzlich in seiner viel beachteten Berliner Rede vor dem Zulauf populistischer Parteien in Europa gewarnt. Da wusste er noch nichts von dem am 13.11. angekündigten Bündnis zwischen Marine Le Pen und Geert Wilders.

Nun sprechen wir heute nicht über Rassismus als Straftatbestand, wie im Fall von Madame Taubira, und nicht über
Rechtspopulismus in Europa, sondern über die Änderung unserer Verfassung. Wir sprechen über die Antirassismus-Novelle, die in Form des verabschiedeten Änderungsantrages nunmehr von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses geteilt wird. Aber Brandenburg ist kein Gebilde im luftleeren Raum, sondern ein Land, eine Region im Herzen Europas, und die Änderung unserer Landesverfassung, die Aufnahme von Antirassismus als Staatsziel vollzieht sich ebenso wenig im luftleeren Raum.

Deshalb ist der Exkurs auf politische Stimmungen in einem gemeinsamen Europa nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten.

Über einen weiteren Kontext haben wir gestern früh ausführlich debattiert: Die steigende Zahl von Flüchtlingen und Asylsuchenden, aber auch von Menschen, die gern hier einwandern wollen oder im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen, verstärkt latent vorhandenen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, und Rechtsextremisten versuchen ganz gezielt, sich immer wieder vor Flüchtlingsunterkünften in Szene zu setzen, zu hetzen und Ängste und Bedenken der Bevölkerung für ihre schlechte Sache zu instrumentalisieren.

Vor diesem europäischen und Brandenburger Hintergrund bringen wir nun gemeinsam die Verfassungsänderung auf den Weg. Unter der schönen Überschrift des neu geschaffenen Artikels 7a „Schutz des friedlichen Zusammenlebens“ steht nunmehr in unserer Verfassung:

„Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und
fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.“

Es ist bei dem fast einjährigen Diskussionsprozess, der der Verabschiedung der Verfassungsänderung vorausging, oft von Symbolpolitik die Rede gewesen - eine Auffassung, die ich explizit nicht teile. Aber selbst wenn es Symbolpolitik wäre, meine Damen und Herren: Kann es ein besseres, ein stärkeres Symbol geben, als dem Versuch, in Deutschland wieder Fackelzüge zu organisieren, diesen großartigen Satz entgegenzustellen: Stopp! So etwas ist mit den Zielen und dem Selbstverständnis unseres Landes nicht vereinbar!?

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Neben dem klaren Signal des Entgegentretens und der Ermutigung an die Zivilgesellschaft wird die neue Staatszielbestimmung aber auch normative Auswirkungen auf Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung entfalten.

Unsere Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte darüber hinaus vorgeschlagen - den Gedanken einer Rassismus-Novelle konsequent zu Ende denkend -, die Minderheitenrechte der Sinti und Roma in der Verfassung zu verankern. In Artikel 25 der Landesverfassung sind die Rechte der nationalen Minderheit der Sorben/Wenden normiert. Unser Vorschlag lautete, dass auch die nationale Minderheit der Sinti und Roma in einem eigenen Artikel 25a berücksichtigt werden sollte.

Der Formulierungsvorschlag dazu lautete: „Das Recht der Minderheit der deutschen Sinti und Roma auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer Identität wird gewährleistet.“

Überlegungen dieser Art ergeben sich folgerichtig aus dem europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten von 1998, einer Konvention, unter deren Anwendungsgebiet die deutschen Sinti und Roma zweifellos fallen.

Nun erzwingt die Rahmenübereinkunft nicht, dass der Minderheitenschutz in die Verfassung aufgenommen oder in einem eigenen Gesetz geregelt wird. Der beratende Ausschuss der EU ermuntert aber geradezu dazu, genau dies zu tun. Den Schritt, die Minderheitenrechte der Sinti und Roma in die Landesverfassung aufzunehmen, ist bisher nur Schleswig-Holstein gegangen. Dort wurde 2012 neben der dänischen Minderheit und der Volksgruppe der Friesen auch der Minderheitenschutz der Sinti und Roma verankert.

Herr Prof. Zimmermann von der Universität Potsdam betont in seinem Gutachten, dass durch eine Verfassungsnorm den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Rahmenübereinkommen besonders entsprochen wird. Die Länder Rheinland-Pfalz und Bremen haben zwar keine Verfassungsänderung vorgenommen, aber mit den Landesverbänden der Sinti und Roma eine Rahmenvereinbarung geschlossen, und Baden-Württembergplant einen Staatsvertrag.

Zu dieser Frage wurde von unserer Fraktion ein Gutachten beim Parlamentarischen Beratungsdienst in Auftrag gegeben und ein Gutachten des Menschenrechtszentrums der Universität Potsdam vorgelegt. Unser Dank gilt Frau Dr. Plattner vom PBD und Herrn Prof. Zimmermann für die profunden Betrachtungen.

Beide Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag ohne Weiteres umsetzbar gewesen wäre und der Verfassungsauftrag offenlasse, wie dem Anliegen entsprochen werden könne. Umso unverständlicher ist es, dass - außer bei der Fraktion DIE LINKE und Teilen der FDP - keine Bereitschaft zu einem solch konsequenten Schritt erkennbar war.

Demgegenüber möchte ich sehr lobend hervorheben, dass sich der Vertreter der Minderheit der Sorben/Wenden bei der Anhörung im Hauptausschuss am 18.09.2013 uneingeschränkt positiv zu diesem Vorschlag äußerte. In seiner Stellungnahme vom 12.11. schreibt der Rat für sorbische/wendische Angelegenheiten:

„Wir würden es begrüßen, würde die Landesverfassung entsprechend ergänzt oder zumindest ein entsprechender
Entschließungsantrag formuliert. Das könnte eine Grundlage sein für weitergehende Diskussionen um die Absicherung der Minderheitenrechte und die Anerkennung kultureller und ethnischer Vielfalt in unserem Land.“

Den Betroffenen selbst ist da kleinlicher Streit in der Sache fremd.

Während es in Deutschland glücklicherweise stark tabuisiert ist, sich offen antisemitisch zu äußern, sind gröbste Vorurteile gegen Sinti und Roma erschreckend weit verbreitet. In unseren osteuropäischen Nachbarländern werden immer wieder pogromartige Übergriffe registriert, aber auch in Deutschland sind Hass und Ablehnung an der Tagesordnung. Die Spitze des Eisberges sind unsägliche NPD-Wahlplakate und Brandanschläge. Sämtliche erdenklichen Vorurteile haben sich weltweit in der Skandalgeschichte um das angeblich geraubte blonde
Mädchen im Roma-Ghetto in Griechenland entzündet. Das Dementi dagegen war sehr, sehr leise.

Stark beeindruckt hat mich auch der Beitrag von Romani Rose im Hauptausschuss. Er hat uns dargelegt, wie wichtig ihm und seiner Volksgruppe eine solche Regelung wäre. Der Artikel 25a hätte den Geist und die Intention der Antirassismus-Novelle konsequent umgesetzt und wäre ein Zeichen von Glaubwürdigkeit gewesen.

Antirassismus ist nämlich nicht dosierbar und nicht verhandelbar, und er muss auch dann erstritten werden,
wenn er unpopulär ist.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Trotz erheblicher Wehmut, die sich aus dieser vertanen Chance speist, freue ich mich sehr, dass wir alle gemeinsam diese Verfassungsänderung auf den Weg bringen. Bedanken möchte ich mich bei den Kollegen der anderen Fraktionen und den Wissenschaftler(inne)n und Expert(inn)en für die sehr intensiven, angenehmen Beratungen, bei denen ich sehr viel gelernt habe.

Das Verfahren war vorbildlich für parlamentarische Arbeit. Es ist eben doch möglich, durch fairen Diskurs und Hinzuziehung von Sachverstand qualitative Sprünge zu erzielen. Möge die erhoffte Signalwirkung eintreten und die Antirassismus-Klausel auf mittlere Sicht auch normative Wirkung entfalten!

Danke schön.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

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