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Ursula Nonnemacher spricht zu unserem Antrag „Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan“

>> Unser Antrag „Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

„50 Tote bei Doppelanschlag in Kabul“, hieß es am 10. Januar, „viele Tote bei Anschlag auf Moschee in Kabul“, „Elf Tote bei Taliban-Angriff auf Politiker“ oder: „16 Tote und viele Verletzte nach Angriff auf Universität in Kabul“. Solche Nachrichten erreichen uns regelmäßig. Und dennoch erfolgte erst vor wenigen Tagen, am 22.2.2017, die bereits dritte Sammelabschiebung afghanischer Staatsbürger aus Deutschland mit dem Ziel Kabul. Dieses Vorgehen widerstrebt uns gleich aus mehreren Gründen: Zunächst lässt die Sicherheitslage in Afghanistan ein solches Vorgehen nicht zu. Zweitens handelt es sich angesichts der enormen Kosten für die Durchführung des Fluges und für die vereinbarten Zahlungen an die afghanische Regierung um Symbolpolitik, die suggerieren soll, man vollziehe Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge jetzt mit konsequenter Härte. Drittens entbehrt die Aktion jeder Form von Einzelfallgerechtigkeit, sondern soll vielmehr dem Ziel des Bundesinnenministers dienen, das Konzept der sogenannten sicheren Herkunftsländer auszuweiten, möglichst auch auf Afghanistan.

Dieses Konzept lehnen wir Bündnisgrünen ab. Es verhindert eine faktenbasierte Einzelfallprüfung und führt zu pauschalen Schnellentscheidungen mit Begründungen aus dem Textbausteinkasten. Es ist eine Sparmaßnahme, die uns Geld und Personal spart, aber Menschlichkeit kostet. Die Einstufung als sicheres Herkunftsland bedeutet in der Rechtsfolge, dass im Falle einer Ausreisepflicht im Regelfall angenommen wird, dass der jeweilige Staatsbürger dort in ein sicheres Land zurückkehrt.

Bereits in Bezug auf einige der derzeit als sichere Herkunftsländer eingestufte Staaten kann man diese Einordnung mit Fug und Recht in Zweifel ziehen und äußerst dubios finden. Aber Afghanistan ist nun überhaupt nicht sicher und Abschiebungen in unsichere Länder darf es nicht geben!

Nun haben aber sowohl die Bundesregierung als auch die EU Anfang Oktober Rückführungsabkommen mit der Afghanischen Regierung geschlossen. Im Gegenzug für milliardenschwere Zusagen bei der Entwicklungshilfe verpflichtet sich die Regierung in Kabul zur Rücknahme ausreisepflichtiger Afghanen, darunter nach dem EU-Abkommen auch minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Der Einwand, dass doch nichts gegen solche Rückführungsabkommen einzuwenden sei, wenn die afghanische Regierung ihr eigenes Land für sicher hält, bleibt einem bei Summen von insgesamt 14 Milliarden Euro im Hals stecken. Der Türkei-Deal mit Erdogan lässt grüßen!

Die Bundesregierung hat parallel dazu die Lage in Teilen des Landes als sicher eingestuft und somit die Abschiebung von Flüchtlingen möglich gemacht. Gleichzeitig rät das Auswärtige Amt dringend vor Reisen nach Afghanistan ab. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR hat die Sicherheitslage in ganz Afghanistan als prekär eingestuft. Im Vergleich zu April 2016 hat sich die Lage in einem Bericht von Dezember 2016 – den die Bundesregierung selbst angefordert hatte – nochmals verschlechtert. Das gesamte Land wird als Krisenregion angesehen. Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt habe sich weiter ausgebreitet und ist durch eine Fragmentierung und Stärkung der aufständischen Kräfte gekennzeichnet. Maßnahmen, um – wie es dem Völkerrecht entspräche – Zusammenstöße mit zivilen Opfern zu minimieren, würden von Konfliktparteien nicht ergriffen. Vielmehr sei ein merklicher Anstieg ziviler Opfer zu verzeichnen, die zunehmend nicht nur Opfer von regierungsfeindlichen Kräften, sondern auch Opfer von regierungsnahen Kräften seien.

Von diesen annähernd 12.000 zivilen Opfern sind ein Drittel Kinder. Menschenrechtsorganisationen kritisieren vehement die Abschiebepläne der EU-Staaten. Der Vorsitzende von Amnesty International Deutschland hat vor wenigen Tagen seine Einschätzung bekräftigt, dass vor dem Hintergrund eines Höchststandes ziviler Toter Abschiebungen nach Afghanistan derzeit menschenrechtlich nicht zu vertreten seien. Das Fernsehmagazin „Monitor“ hat jüngst ein Fernsehteam in die angeblich so sicheren Regionen um Masar-i-Scharif geschickt und konstatiert, dass der Terror selbst im Stadtzentrum und vor Einrichtungen der Bundeswehr nicht Halt macht. Selbst die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD) forderte am 18.2. einen Abschiebestopp nach Afghanistan. „Die Sicherheitslage in Afghanistan mag von Region zu Region unterschiedlich sein, gut ist sie nirgendwo“ sagte Frau Kofler gegenüber der Neuen Passauer Presse. Das sehen wir Bündnisgrünen genauso. Frau Kofler hat aber noch einen weiteren äußerst bemerkenswerten Satz gesagt (Zitat):“ Nicht die Lage in Afghanistan hat sich verändert, sondern die innenpolitische Diskussion.“ Wir haben nämlich Wahljahr und da kommt es auf jede Stimme an! Parallel dazu hat sich auch die Abschiebepolitik völlig verändert.

Jahrelang waren wir aufgrund der unsicheren Sicherheitslage in Afghanistan sehr zurückhaltend in Bezug auf Abschiebungen dorthin. Die Bundeswehr war vor Ort präsent und direkter Zeuge eines Landes im Bürgerkrieg. Nun, neuerdings, wo sich die Bundeswehr zurückzieht, aber vereinzelte Kriegsherren wieder an Macht gewinnen und die Vereinten Nationen, Entwicklungszusammenarbeits- und Menschenrechtsorganisationen ganz gegenläufig zur Einschätzung der Bundesregierung eine erhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan feststellen, soll es plötzlich für Abgeschobene sicher sein. Während in Deutschland die Gesamtschutzquote für afghanische Asylbewerber im Jahr 2015 noch bei 78 Prozent lag, sank sie gleichlaufend mit einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan auf nur noch knapp 60 Prozent im Jahr 2016.

Die augenblickliche Abschiebeoffensive - die Umsetzung des 16-Punkte Planes steht ja noch an – trägt auch symbolhafte Züge im Wahljahr. Die Bundesregierung muss zeigen, dass sie ernst macht. Bei den meisten der 12.000 ausreisepflichtigen Afghanen in Deutschland besteht ein Ausreisehindernis. 2014 und 2015 wurden je 9 Geflüchtete nach Afghanistan abgeschoben, im vergangenen Jahr 67. Im Januar wurde eine Sammelabschiebung mit 50 Männern angekündigt, nach Kabul flogen 26. Am 22.2. wurden 18 alleinreisende Männer abgeschoben, per Gerichtsbeschluss wurde in letzter Minute die Abschiebung eines Familienvaters und eines psychisch Kranken gestoppt. Ein Flug von München nach Kabul mit 18 Menschen erfüllt allein schon den Tatbestand der Vernichtung von Steuermitteln. Dafür werfen wir die Prinzipien einer menschenrechtsgeleiteten Flüchtlingspolitik über Bord, um mit AfD-light- Politik die AfD in den einstelligen Prozentbereich zurückzuführen. Wenn dies die Richtschnur unseres Handelns in einem Wahljahr ist, dann brauchen wir uns nicht moralisch über die Maßnahmen der Trump-Administration und den Autokraten Erdogan zu empören. Das freundliche Antlitz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Herbst 2015 ist längst zu einer hässlichen Fratze der Abschottungspolitik geworden.

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass ich gleich mit der Abschiebepraxis von Ministerpräsident Kretschmann konfrontiert werde. Ja, die grüngeführte Landesregierung in Baden-Württemberg beteiligt sich an diesen Abschiebungen und ich sage ihnen, dass es mich als Grüne mit Gram, um nicht zu sagen mit Scham erfüllt. Wir finden es falsch und nicht vertretbar! Die gar so einzelfallbasierten Entscheidungen in Baden-Württemberg haben sich ja auch als ein Kartenhaus erwiesen, als das Gericht vor wenigen Tagen einzelne Abschiebungen stoppte. Immerhin hat MP Kretschmann im Namen aller neun grünen Minister und Senatoren dringend an Außenminister Gabriel appelliert, die Sicherheitslage einer Neubewertung zu unterziehen. An ihm ist es, jetzt zu handeln! Vom rot-rot regierten Brandenburg vermisse ich bisher jegliche klare Positionierung. Da ist nur der Innenminister zu vernehmen, dem Sicherheitsbedenken offensichtlich völlig fremd sind.

In Ihrem Entschließungsantrag - der viele gute Punkte enthält und den wir auch nicht ablehnen werden - wird jetzt endlich mal die Landesregierung aufgefordert, sich auch für eine Neubewertung der Sicherheitslage einzusetzen. Sogar unter Einbeziehung der Erkenntnisse von vor Ort tätigen Hilfsorganisationen. Schön! Das Dumme ist nur, dass sich Außenminister Gabriel (SPD) bisher hartnäckig weigert, eben diese Neubewertung vorzunehmen.

Wir halten zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicherheitsgesichtspunkten Sammelabschiebungen nach Afghanistan für nicht verantwortbar.

Unser Antrag wurde abgelehnt, Entschliessungsantrag der Koalitionsfraktionen wurde angenommen.