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Ursula Nonnemacher spricht zum Antrag der AfD-Fraktion „Aktive Familienpolitik durch Baby-Willkommensdarlehen“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Das einzige, was an dem vorliegenden Antrag neu ist, ist die Wortschöpfung „Babywillkommensdarlehen“. Ansonsten ist die Idee ein alter Hut, ein Ladenhüter. Vom Ehestandsdarlehen der Nationalsozialisten, welches an die Aufgabe der Berufstätigkeit der Ehefrau und natürlich an die Rassegesetze gebunden war über den Ehekredit aus DDR-Zeiten bis hin zu „Babykrediten“ und „Babyprämien“ reichen die Vorschläge meist konservativer Familienpolitiker. Eine der jüngeren Kreationen war der Vorschlag eines „Familienstandsdarlehen“ über 5000 Euro der CDU in Sachsen-Anhalt im Jahr 2012. Die Idee ist immer dieselbe: Die zinslosen Darlehen können durch die Geburt von Kindern abgestottert werden, nach dem dritten Kind entfällt eine Rückzahlung in der Regel vollständig.

Je nach ideologischer Ausrichtung sind die Darlehen an bestimmte Auflagen gebunden. Meist ist eine solche Auflage die Koppelung an die Ehe, das Geld wird mit der Heirat ausgereicht. Der AfD ist dies nicht so wichtig, dafür wird Wert auf eine schon länger bestehende Staatsbürgerschaft gelegt, auf eigene Kinder, auf die eigene Bevölkerung.

Die familien- und ehebezogenen Leistungen belaufen sich in der Bundesrepublik Deutschland auf rund 200 Milliarden Euro jährlich und ihre Wirksamkeit ist umstritten und Gegenstand zahlreicher Diskussionen. In den Jahren 1996 bis 2004 stiegen diese familienbezogenen Leistungen um 65%, die Geburtenrate sank im gleichen Zeitraum um 11%. Die Effizienz einzelner Maßnahmen wird sehr unterschiedlich bewertet: Nach einer Studie der Prognos AG im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ist der Einfluss beispielsweise des Ehegattensplittings mit einem Faktor von 0,01 auf die Geburtenrate bei Kosten von jährlich mehr als 20 Milliarden Euro besonders gering. Am besten werden staatliche Investitionen in die Kinderbetreuung beurteilt, denen ein Anstieg der Geburtenrate von 0,18 Kindern pro Frau zugesprochen wird. Geldleistungen wie das Kindergeld oder das Elterngeld rangieren dahinter, haben aber noch nachweisbare Effekte.

In ganz Europa liegt die Geburtenziffer deutlich unter den für ein steady state erforderlichen 2,13 Kindern pro Frau. Im internationalen Vergleich wurden in den vergangenen Jahrzehnten sehr deutliche Änderungen im Reproduktionsverhalten beobachtet: Hatten noch in den 1960er- und 1970er- Jahren Länder mit traditionellen Familienwerten und niedriger Frauenerwerbstätigkeit wie in Südeuropa die höchsten Geburtenraten, so kehrte sich dieses Verhältnis um: seit den neunziger Jahren haben nordeuropäische Staaten mit hoher Frauenerwerbstätigkeit und hohen Scheidungsraten die höchsten Geburtenraten. Dies geht auf die veränderten Wünsche und Erwartungen der Frauen an ihr Leben zurück. Aufgrund gestiegener Bildungs- und Erwerbsbeteiligung von Frauen werden Geburten am stärksten durch eine Politik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht.

Darin sehen auch wir Grünen den entscheidenden Ansatz für eine aktive Familienpolitik: Förderung der Vereinbarkeit durch Ausbau qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung, Förderung der geschlechtergerechten Verteilung der Familien- und Sorgearbeit, veränderte Zeitpolitik, die Menschen mit Kindern mehr Freiräume verschafft. Die horrenden familienpolitischen Leistungen sollten auf effektive Maßnahmen ausgerichtet sein und nicht auf eine Stabilisierung der traditionellen Alleinverdiener-Ehe. Und sie sollten nicht mit der Gießkanne verteilt, sondern sich auf einkommensschwache Familien und Alleinerziehende fokussieren.

Das Baby-Willkommensdarlehen wird den Bedürfnissen moderner Eltern nicht gerecht und gehört in die Mottenkiste rückwärtsgewandter Politik, die keine Alternative für uns ist.