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Abschiebung nach Afghanistan

Ursula Nonnemacher:

Am 27. März 2017 ist vom Münchener Flughafen erneut eine sogenannte Sammelabschiebung nach Afghanistan erfolgt. Unter den 15 abgeschobenen Afghanen befand sich ein junger Flüchtling aus Brandenburg an der Havel. Er hatte in Brandenburg an der Havel gelebt und Berichten zufolge einen Arbeitsplatz in der Speditionsbranche.

Eine Mehrheit der Abgeordneten im Brandenburger Landtag hatte sich in der März-Sitzung zwar gegen den von unserer Fraktion geforderten Abschiebestopp nach Afghanistan gewandt, dafür aber einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen angenommen (Drucksache 6/6143, pdf-Datei). In diesem Beschluss wird die Landesregierung gebeten, darauf hinzuwirken, dass die Ausländerbehörden ihre gesetzlichen Ermessensspielräume im Aufenthaltsrecht im Wege der Einzelfallprüfung im Interesse der Betroffenen nutzen sollen.

Ich frage daher: Wie begründet und bewertet die Landesregierung die Abschiebung des betroffenen afghanischen Staatsbürgers, soweit sie den geschilderten Sachverhalt bestätigen kann, vor dem Hintergrund des Landtagsbeschlusses vom 3. März 2017 (Drucksache 6/6143-B)?

Antwort der Landesregierung Minister des Innern und für Kommunales Schröter:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Johlige, Frau Nonnemacher, zunächst zur Frage: Was ist seit der Beschlussfassung passiert? Sie haben ja einen Beschluss mit sieben Punkten gefasst.

Erstens: Initiative auf Bundesebene. Die Staatssekretärin Frau Lange hat mit einem Schreiben an ihre Amtskollegin im Bundesinnenministerium und ihren Kollegen im Auswärtigen Amt darum gebeten, eine fortlaufende Überprüfung der Sicherheitslage in Afghanistan durchzuführen. Ich erinnere daran - ich sagte das schon während der Debatte um Ihren Antrag -, dass die letzte Darstellung der Sicherheitssituation vom Februar dieses Jahres war.

Zweitens: Vorrang der freiwilligen Rückkehr. Dieser Vorrang ist im Aufenthaltsgesetz bereits vorgeschrieben und wird schon deshalb von den Brandenburger Ausländerbehörden beachtet. Die Ausländerbehörden werden regelmäßig über die bestehenden Rückkehrprogramme informiert. Dass die freiwillige Rückkehr in Brandenburg effektiv gefördert wird, zeigt sich bereits an den Zahlen für das vergangene Jahr. Hier stehen 795 Abschiebungen fast 2.000 freiwilligen Ausreisen gegenüber. Mein Haus arbeitet im Übrigen auch daran, weitere Empfehlungen zur Verfügung zu stellen.

Drittens: Die Verstärkung der Rückkehrberatung. Die Rückkehrberatung spielt in Brandenburg bereits eine hervorgehobene Rolle. Der Betreiber der Erstaufnahmeeinrichtung, das Deutsche Rote Kreuz, bietet aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung eine Asylverfahrens- und Rückkehrberatung an. Auch im Rückführungsbereich der Zentralen Ausländerbehörde werden Ausreisepflichtige in jedem Einzelfall vor der Einleitung vor Abschiebemaßnahmen über die Vorteile einer freiwilligen Ausreise und finanzielle Hilfsmöglichkeiten informiert.

Viertens: Die Abschiebungshaft als letztes Mittel. Dass die Abschiebungshaft nur als letztes Mittel in Betracht kommt, ist geltende Rechtslage. Dies entspricht selbstverständlich dem Handeln unserer Ausländerbehörden, wie die Zahlen zeigen.

Fünftens: Die Verbesserung der psychosozialen Betreuung in der Abschiebehafteinrichtung. Die unter diesem Punkt geforderten Maßnahmen sind in Brandenburg schon lange allgemeine Praxis. Der sozialpsychologische Fachdienst der Zentralen Ausländerbehörde ist auch in der Abschiebungshafteinrichtung tätig. Ferner stehen den Abschiebungshäftlingen auf Wunsch Seelsorger der Kirchen zur Seite.

Sechstens: Sorgfältige Einzelfallprüfung. Mein Haus hat die Ausländerbehörden bereits Mitte Februar hinsichtlich des Themas Rückführungen nach Afghanistan sensibilisiert. Ich hatte Ihnen schon in der März-Debatte von diesem Schreiben Kenntnis gegeben und es in Teilen zitiert. Rückführungen sind mit der Beschlusslage nicht ausgeschlossen, aber sie müssen einer sorgfältigen Einzelfallprüfung unterzogen sein.

Siebtens: Die Prüfung der besonderen Schutzbedürftigkeit. In dem geplanten Erlass wird auch die Sicherstellung der Prüfung der besonderen Schutzbedürftigkeit im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie festgehalten. Ich denke, damit ist dem Anliegen im Sinn der Fragestellung und der Beschlussfassung hinreichend Rechnung getragen worden.

Präsidentin Stark: Zunächst einmal vielen Dank. Es gibt Zusatzfragen. Wir beginnen mit den beiden Fragestellerinnen. Sie wissen, bis zu drei zusammenhängende Fragen werden gesammelt, und nach dem dritten Fragesteller, Herrn Dr. Redmann, haben Sie die Gelegenheit zu antworten. Frau Johlige beginnt.

Frau Johlige (DIE LINKE): Erstens: Ist es richtig, dass die Person aus Brandenburg an der Havel bereit war, freiwillig auszureisen und selbst versucht hat, sich Papiere zu besorgen? Und wie verhält es sich in diesem Fall mit dem Vorrang der freiwilligen Ausreise? Zweitens: Zum Beschluss der vergangenen Sitzung. Sie haben jetzt nichts dazu gesagt, wie das Hinwirken auf Ermessensausübung in den Ausländerbehörden stattfinden soll. Das war für uns ein sehr wichtiger Punkt. Drittens: Ich bin relativ häufig in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Brandenburg. Ich kann bestätigen, dass es in Doberlug-Kirchhain eine unabhängige Asylverfahrensberatung gibt. In den anderen Erstaufnahmeeinrichtungen scheint mir das nicht so stattzufinden, und meine Frage ist, ob es dort noch einmal Nachsteuerungen geben wird.

Präsidentin Stark: Die nächste Fragestellerin ist Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Wir sammeln. Herr Minister, Sie müssten sich ein paar Notizen machen, sonst kommen wir mit den anderen Fragestellern nicht zurande. Es gibt ja noch weitere Fragen. - Frau Abgeordnete Nonnemacher, bitte.

Frau Nonnemacher (B90/GRÜNE):

Ich bin der Meinung, dass meine Frage noch nicht richtig beantwortet wurde.

Minister Schröter: Die ist noch gar nicht beantwortet worden.

Frau Nonnemacher (B90/GRÜNE):

Wunderbar, das sehen Sie auch so, darauf wollte ich nur hinweisen. Ich habe aber folgende Zusatzfrage: Wir haben in der letzten Plenardebatte ausführlich darüber gesprochen, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nation UNHCR im April und im Dezember zwei Lageberichte zu Afghanistan abgegeben hat, die die stark verschlechterte Sicherheitslage dokumentiert haben. Dieser Tage ist der SIGAR-Bericht an den US-Kongress erschienen. Darin wird ausgeführt, dass nur noch 20 % der Distrikte in Afghanistan von der afghanischen Regierung vollständig kontrolliert werden. Ist Ihnen dieser Bericht bekannt?

Präsidentin Stark: Möchten Sie jetzt antworten, oder nehmen wir die Frage von Herrn Dr. Redmann noch hinzu?

Minister Schröter: Wir können die Frage von Dr. Redmann gern dazu nehmen. Aber Dr. Redmann, wenn Sie Fragen zum Einzelfall in Brandenburg haben …

Präsidentin Stark: Vielleicht lassen wir ihn die Frage stellen. Herr Dr. Redmann, bitte.

Dr. Redmann (CDU): Herr Minister, wenige Tage vor der Abschiebung, die das Thema der Fragestellerinnen ist, ist das bekannte Rundschreiben bei den Ausländerbehörden eingegangen, mit denen Sie die Ausländerbehörden gebeten haben, die Anstrengungen zur zwangsweisen Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer zu intensivieren. Sind Sie wie ich der Auffassung, dass die Ausländerbehörde in Brandenburg an der Havel mit ihrem Verhalten Ihrer Bitte entsprochen hat?

Präsidentin Stark: Herr Minister, Sie haben hoffentlich viele Notizen gemacht und sind in der Lage zu antworten. Vielen Dank.

Minister Schröter:

Ich fange hinten an. Da der Inhalt des Schreibens vom 17. März ausdrücklich die Refinanzierung der Aufwendungen der Kreise und kreisfreien Städte betraf, hat dieses Schreiben in dieser Sache keinen Einfluss gehabt, denn das Verfahren ist ja schon sehr viel länger in Arbeit gewesen.

Frau Nonnemacher, mir ist der UNHCR-Bericht vom Dezember bekannt. Der ist im Übrigen auch in die Bewertung der Lage durch das Bundesinnenministerium eingeflossen. Der zweite von Ihnen genannte Bericht ist mir, wie gesagt, nicht bekannt. Gestatten Sie, dass ich kurz - bevor ich die weiteren Nachfragen beantworte -, die Situation in Brandenburg an der Havel betrachte. Am 27. März ist tatsächlich von München aus eine Sammelabschiebung abgelehnter afghanischer Asylbewerber durchgeführt worden. Darunter befand sich die benannte Person aus Brandenburg an der Havel. Sie sehen möglicherweise darin einen Widerspruch zum Landtagsbeschluss. Ich denke aber, den gibt es nicht, denn mit dem Beschluss war die Landesregierung aufgefordert worden, darauf hinzuwirken, dass die Ausländerbehörden ihre gesetzlichen Ermessenspielräume im Aufenthaltsrecht auf dem Wege der Einzelfallprüfung im Interesse der Betroffenen nutzen. Zugleich stellt der Landtagsbeschluss ausdrücklich fest, dass es zu staatlich angeordneten aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommen kann.

(Beifall CDU sowie vereinzelt AfD)

Verehrte Frau Nonnemacher, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Entscheidung zur Rückführung des jungen Afghanen aus der Stadt Brandenburg fiel erst nach sorgfältiger Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Abgeschoben wurde am 27. März ein rechtskräftig ausreispflichtiger abgelehnter Asylbewerber. In einem gerichtlichen Eilverfahren war zuvor festgestellt worden, dass er keinen schlüssigen Asylfolgeantrag gestellt hat.

Da auch sonst keine Duldungsgründe gegeben sind, kam auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nicht in Betracht. Zuvor hatte der Betroffene nicht an der Beschaffung eines afghanischen Passes für seine Rückreise mitgewirkt. Daher musste auch der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes abgelehnt werden.

Die Ausländerbehörde hat auch geprüft, ob eventuell eine besondere Schutzbedürftigkeit des Betroffenen bestand. Auch das war nicht der Fall. Der Mann ist alleinstehend. Es bestanden in Deutschland keinerlei familiäre Beziehungen. Auch die Regelungen der §§ 25 a und 25 b des Aufenthaltsgesetzes greifen hier somit nicht. Danach kann bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden bzw. bei nachhaltiger Integration Aufenthalt gewährt werden. Diese Bestimmungen sind schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich zum einen nicht um einen Jugendlichen oder Heranwachsenden handelte und der Mann zum anderen auch die zeitlichen Voraussetzungen, nämlich einen Aufenthalt von mindestens acht Jahren, nicht erfüllte.

Die Entscheidung der Ausländerbehörde der Stadt Brandenburg ist daher aus meiner Sicht nicht zu beanstanden. Ich kann mich dabei natürlich nur auf die Informationen stützen, die uns aus Brandenburg zu diesem Fall zur Kenntnis gekommen sind.

Unabhängige Beratung: Frau Johlige, ich gehe davon aus, dass natürlich diejenigen, die damit befasst sind, unabhängig beraten, was die Frage der geförderten Heimreisen anbetrifft oder auch andere Dinge. Wie anders sollte eine solche Beratung erfolgen? Also egal, wer da derjenige ist, der durch eine Auftragserteilung in diese Verantwortung tritt, er berät aus meiner Sicht unabhängig, denn es ist ja keine staatliche Behörde.